Re: Wilhelm Polatschek / Lydia Polatschek geb. Sichler

Jiri Vavra @, Mittwoch, 20.08.2008, 00:15 (vor 5746 Tagen) @ Gerhard König

Hallo,

zufällig habe ich Ihres Forum gefunden und mit Interesse diese Diskussion gelesen. Vielleicht habe ich für Sie ein paar interessante Informationen.

Der Nachname Polatschek hat tschechische und dazu noch exulantische Herkunft. Ausser Deutschen lebten in Wolhynien in der Vergangenheit auch viele Tschechen. Die meisten von ihnen kamen direkt aus Böhmen und Mähren in den 1860n, -70n und -80n. Aber es gab in Wolhynien auch eine besondere Gruppe von Tschechen, die nach Wolhynien nicht aus dem Gebiet des heutigen Tschechiens sondern aus dem Zelow und Kuczow Gebiet bei Lodz in Polen, damals in Russland, kam. Diese Tschechen waren Nachkommen der evangelischen Exulanten, die aus religiösen Gründen das von katholischen Habsburgern beherrschende Böhmen in den 1740n verlassen und sich in Schlesien angesiedelt haben. Im Jahre 1803 gründeten einige Migranten aus tschechischen Dörfern in Schlesien eine tschechische Kolonie in Zelow. Zelow wurde später zur grössten Besiedlung dieser Migrationsgruppe. Von den 1860n migrierten Zelowsche Tschechen auch nach Wolhynien (aber auch in die südliche Ukraine und später auch in die Nähe von Samara in Russland und auch Akmolinsk in Kazachstan). 1878 wurde Michailowka gegründet. Michailowka war ein Zentrum dieser Gruppe von Tschechen in Wolhynien.

Im 18. Jahrhundert gab es in der habsburger Monarchie ofiziell keine protestantische Kirche. Die Exulanten hatten meisten Bekenntnis der alten Böhmischen/Mährischen Brüder (Unitas Fratrum). Im Ausland haben Sie sich meisten in die Ev.-reformierte Kirche eingeordnet. Während Ihrer Geschichte wurden Sie stark von deutschem Pietismus und später auch Baptismus beeinflusst. Sie hatten ihre eigene Kirchen und Kirchengemeinden in Schlesien und in Zelow und Kuczow. Aber in Wolhynien machten sie keine kompakte und dichte Besiedlung und Ihre Zahl war nicht gross, also dort hatten sie keine Kirchen mit ordinierten Pastoren, sondern nur Gebethäusern und Laienprediger. Administrativ gehörten sie zum Konsistorium der Ev.-reformierten Kirche in Vilno. Nach der protestantischen und exulantischen Tradition machten sie Gottesdienste für sich selbst. Jeder Mitglied einer Gemeinde konnte zu Leienprediger werden. Genau so war es im Süden der Ukraine. Die Laienprediger hatten kein Recht zu taufen, trauen und konfirmieren. Diese kirchliche Handlungen wurden in den wolhynischen Dörfern dieser Tschechen von den sie selten besuchenden reformierten Pastoren aus Zelow oder Vilno duchgeführt, aber meisten benutzten diese reformierten Tschechen Dienste der konfessionell und geographisch nähen ev.-lutherischen Pastoren aus den umliegenden deutschen Gemeinden. Deshalb die kirchliche Urkunde sind von ev.-aug. Herkunft, aber trotzdem handelte es sich um die reformierten Gläubigen. Bei den Gottesdiensten funkcionierten auch Mitglider der reformierten Gemeinden wie Pastoren oder Leienprediger. Also diese Situation ist nur ein Ergebnis der Not.

Ein Teil dieser Exulanten konvertierte zum Baptismus. Die tschechischen Baptisten gründeten eine rein baptistische Kolonie in Hlupanin (Mirotin) in 1902. Die tschechischen Exulanten lebten auch in einigen anderen Dörfern in der Nähe von Michailowka und Mirotin, und individuell auch in grösseren Städten in Wolhynien. Diese Bevölkerung Wolhyniens beendete sich nach dem zweiten Weltkrieg, wenn die ganze tschechische Besiedlung in die Tschechoslowakei repatriiert wurde. Aber bis heute leben die Nachkommen der Exulanten in den Odessa und Nikolajew Gouvernementen in der Ukraine, bei Samara in Russland und in Akmola in Kazachstan.

Michailowka wurde 1878 von Tschechen (und auch einigen Deutschen - Gustav Andreas, Wilhelm Klein, Friedrich Schmidke, Jakob Seidens) aus Ljubomirka, Puchawa und einigen anderen Dörfern gegründet. Die wollten zusammen in einer Kolonie leben. In einigen Quellen las ich, dass in Puchawa nur zwei tschechische familien zusammen mit Deutschen blieben, und zwar die Familie Polatschek und die Familie Hart (Horta). Diese Familien sei germanisiert geworden.

Es wurde über diese Gruppe 2 oder 3 Bücher erschienen, aber leider nur auf tschechisch, wieweit ich weiss. Die Bücher konzentrieren sich hauptsächlich auf die schlesische Kolonien und Zelow und Kuczow. Die Kolonien in Wolhynien und im Süden der Ukraine sind bis heute nicht sehr detailliert bearbeitet. Deshalb interesiere ich mich für die Geschichte dieser Leute in diesen zwei Regionen. Ihre Kontakte mit Deutschen waren ganz eng in der Vergangenheit. Habt Ihr vielleicht einige Informationen, Dokumente, Fotos oder Erinnerungen Ihrer Verwandten, die Ihr mit mir teilen könnt, wäre es für mich sehr grosse Hilfe.

Dörfer in Wolhynien mit evangelischen Tschechen:
Michailowka/Michalowka (bei Rowno), Pokosy, Jadwipol, Puchawa/Puchowa/Mariendorf, Ljubomirka (bei Alexandrija), Mirotin/Mirocyn (früher Hlupanin/Glupanin), Boratin, Kupitschow/Kupitschew ua.

Die häufigsten Nachnamen der evangelischn Tschechen in Wolhynien:
Andersch, Buresch, Tschap/Czap, Dedecius, Duschek, Fiebich/Fibich, Hart/Horta, Hejtmanek, Jelinek, Jersak, Kratochwil/Kratofil, Koutezky, Kubesch, Kulhawy/Kulgawy, Kupec, Kuschel, Matejka, Nemetschek, Newetscherzal, Neswarba/Neswatba, Pojman/Pujmon, Polatschek, Pospischil/Pospiech, Petrak, Petrosellin, Prowasnik, Reichert, Semera(d), Slama, Schreiber, Stehlik/Steglik, Swoboda, Schwejdar/Schweider, Tomesch, Tutschek, Sounar/Saunar

Vielen Dank und viele Grüsse von
Jiri Vavra, Prag, Tschechien


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