Re: Kolonie Raditsch

Thomas Jabs @, Montag, 13.03.2017, 10:36 (vor 2805 Tagen) @ Irene König

Hallo Michael

die Angaben von Irene kann ich noch ein wenig ergänzen. Nach meinem Kenntnisstand wurde Raditsch 1877 von 75 Siedlern gegründet. Es gab durchaus Deportationen im ersten Weltkrieg. Meine Urgroßeltern wurden nach der Familienüberlieferung z.B. nach Astrachan an der Mündung der Wolga ins Kaspische Meer deportiert, übrigens fast ohne Kenntnisse der russischen Sprache.
Das Dorf blieb bis Ende der 1920er Jahre komplett deutsch. Dann siedelten sich auch einzelne ukrainische Familien als Ersatz für ausgewanderte Deutsche an. Im Zuge der Zwangskollektivierung wurden die größten Bauern nach Kasachstan deportiert. Aus den beiden größten Bauernhöfen wurden Kolchosen gemacht. Eine Kolchose beschäftigte sich nur mit Landwirtschaft, die andere auch mit Torfabbau. Der Straßenführung des Dorfes änderte sich, denn die Bewohner durften nicht mehr verstreut auf ihren Feldern siedeln wie vorher sondern mussten sich entlang der Straßen ansiedeln.
1937/1938 wurde ca. die Hälfte der Männer zwischen 30 und 50 Jahren vom NKWD verhaftet und kurz darauf ermordet. Bei den schweren Kampfhandlungen im August 1941 wurde ca. die Hälfte der Häuser des Dorfes (Holzhäuser!)zerstört. Wegen der Zerstörung dieser Häuser und der fortlaufenden Partisanenangriffe wurden die Bewohner von Raditsch - bis auf wenige verbleibende Ausnahmen - Ende 1941 in die unmittelbare Nähe von Nowograd Wolynsk umgesiedelt, wo sie die deutsche Garnision besser schützen konnte.
Im November 1943 flüchtete die Dorfgemeinschaft per Pferdetreck nach Bialostok. Nachfolgend wurden sie im Warthegau im Landkreis Rawitsch angesiedelt.
Im Dezember 1943 kam es erneut zu schweren Kampfhandlungen um Nowograd Wolynsk, die offensichtlich zu weiteren Zerstörungen in Raditsch führten, so dass heute von der damaligen Bausubstanz kaum noch etwas erhalten ist.

Gruß

Thomas Jabs


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