Verlängerung der deutschen Staatsbürgerschaft in Kiew ?

Ulrich Stark @, Freitag, 29.04.2016, 20:14 (vor 3122 Tagen)

Guten Tag,

In der Familie meiner Frau wird folgende Geschichte erzählt:
Großvater Karl musste alle fünf oder zehn Jahre von Mariendorf (Swojczowka) im Kreis Wladimir-Wolynsk in die Hauptstadt Kiew, um dort die deutsche Staatsbürgerschaft zu erneuern. Bei dieser Gelegenheit wurden alle seither geborenen Kinder mit in die Papiere eingetragen.

Frage 1:
Kann es sein, dass man diese Reise ins rund 400 km entfernte Kiew machen musste ?

Frage 2:
Könnte es um andere Dinge, als die Verlängerung der deutschen Staatsbürgerschaft gegangen sein ?

Frage 3:
In welcher Zeit könnte dies überhaupt sinnvoll gewesen sein ?
Es trugen nämlich Vater und Sohn den Rufnamen Karl (beide waren natürlich Großväter ihrer Enkel).
Der ältere kam 1862 aus dem Bezirk Kalisch nach Mariendorf und wurde in den Kirchenbüchern ab 1882 als "russischer Untertan" bezeichnet.
Der 1883 geborene Sohn Karl verheiratete sich um 1905, floh bei Beginn des 1. Weltkriegs in die Wälder. Seine Familie floh 1917 mit der zurückweichenden deutschen Armee nach Schlesien.
Da der Karl der Erzählung verheiratet war, kämen meines Erachtens zwei Zeiträume in Frage:
A) 1865-1880 (beim älteren Karl)
B) 1905-1914 (beim jüngeren Karl)
Aufgrund der vielen gelesenen Aufsätze im Forum und anderswo, vermute ich Zeitraum A, auch wenn die Familie die Geschichte dem jüngeren Karl zuschreibt.
Anmerkung: Sein jüngerer Bruder Wilhelm gibt bei seiner Auswanderung nach USA 1910 an:
Nationality: Russia
Race or People: German

Vielleicht reizt es jemanden, sich dies alles durch den Kopf gehen zu lassen.

Über eine Reaktion würde ich mich freuen.

Mit besten Grüßen

Ulrich Stark

Re: Verlängerung der deutschen Staatsbürgerschaft ..

Ulrich Stark @, Samstag, 30.04.2016, 07:19 (vor 3122 Tagen) @ Ulrich Stark

Guten Tag,

ich habe zwei kleine Korrekturen zu machen:
Die Einwanderung fand 1875 statt (nicht 1862).
Die Auswanderung (Flucht) fand 1916 statt (nicht 1917).
Die Zeiträume ändern sich also auf:
A) 1875 bis 1882
B) 1905 bis 1915

Ich denke aber das ändert wenig an den Überlegungen.

Mit besten Grüßen

Ulrich Stark

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Re: Konsulat in Kiew

Gerhard König ⌂, Samstag, 30.04.2016, 18:44 (vor 3121 Tagen) @ Ulrich Stark

Hallo Ulrich :welcome: im Wolhynien-Forum,

Bürger, die in Wolhynien lebten und ihre Staatsbürgerschaft erneuern wollten, mußten z.B. in das Preußische und ab 1871 in das Deutsche Konsulat in Kiew reisen. Diese Reise kostete sehr viel Zeit - wahrscheinlich mehrere Tage - und auch Geld.

Großvater Karl musste alle fünf oder zehn Jahre ...

Die Aussagen zu den Zeiträumen weichen sehr stark voneinander ab. Bei den Beispiel in unserem VolynWiki galt die Verlängerung nur für ein Jahr.

Bei dieser Gelegenheit wurden alle seither geborenen Kinder mit in die Papiere eingetragen.

Ja, dies ist richtig.

ab 1882 als "russischer Untertan" bezeichnet.

Wer welche Staatsbürgerschaft hatte, war im Ort sehr gut bekannt. Somit kannst Du davon ausgehen, dass diese Person um 1882 die deutsche Staatsbürgerschaft nicht besessen hat.

Kleiner Tip am Rande: für weitere Hilfestellungen wären Angaben mit Vor- und Zuname sinnvoll. ;-)

gerhard

Re: Konsulat in Kiew

Ulrich Stark @, Sonntag, 01.05.2016, 09:11 (vor 3121 Tagen) @ Gerhard König

Sehr geehrter Herr König,

vielen Dank für Ihre prompte und kompetente Antwort.
Zu Ihrer Anregung:
Die beiden Karl hießen:
Friedrich Carl Petzke (*1829 im Gouv. Kalisch, +05.09.1896 in Ledochow, Kreis Wladimir-Wolynsk).
Karl Petzke (*22.04.1882 in Mariendorf, Kreis Wladimir-Wolynsk, +08.07.1941 in Bresen, Schlesien).

Des Letzteren Sohn Daniel Petzke schrieb in den 1950er-Jahren auf:
"Bei Ausbruch des ersten Weltkrieges konnte mein Vater [Karl Petzke] der ruß. Kriegsgefangenschaft nur durch die Flucht entgehen. Auf Umwegen kam er wieder ins Reich und wurde Soldat. Wir, meine Mutter, meine Geschwister und ich wurden 1915 von den deutschen Fronten überrollt und wurden 1916 als die deutschen Truppen zurückgingen mit zurückgenommen und kamen, nachdem wir einige Flüchtlingslager passiert hatten, nach Zygan, Kreis Kreuzburg, in Oberschlesien."

Können Sie sich einen Reim auf diese zu gewärtigende "ruß. Kriegsgefangenschaft" machen, wenn doch schon sein Vater ab 1882 "russischer Untertan" war ?

Oder war dieser Bericht geschönt oder gefärbt, um schneller oder leichter in der Bundesrepublik Fuß fassen zu können. Er lag seinem Antrag auf Zulassung zur Meisterprüfung bei.

Mit besten Grüßen
Ulrich Stark

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Re: Wehrdienst um 1914

Gerhard König ⌂, Sonntag, 01.05.2016, 16:46 (vor 3120 Tagen) @ Ulrich Stark

Hallo Ulrich,

Ihr Vorfahre Karl Petzke (*1882) erreichte im Jahr 1900 das Wehrpflichtalter und war sehr wahrscheinlich im aktiven Wehrdienst in der russischen Zarenarmee. Im Anschluß folgte die Reservistenzeit von 15 Jahren.

Im VolynWiki können Sie mit zwei Reservistenausweisen aus den Jahren 1890 und 1910 vergleichen. Einen solchen Ausweis hatte auch Karl Petzke und zum Beginn des Ersten Weltkrieges im Jahr 1914 war seine Reservistenzeit noch nicht abgelaufen. Er konnte noch zum Dienst gerufen werden.

konnte mein Vater .. der ruß. Kriegsgefangenschaft nur durch die Flucht entgehen.

Wenn Sie das Wort Kriegsgefangenschaft mit dem Wort Wehrdienst ersetzen, dürfte die Beschreibung stimmen. Wie Sie schreiben kam er - wie viele andere Wolhynier auch - vom Regen in die Traufe und wurde auf deutscher Seite Soldat.

Oder war dieser Bericht geschönt oder gefärbt ...

Ich vermute, dass diese Formulierung auf der Unkenntnis des Sohnes basiert und ihm sein Vater so wenig wie möglich von seinen Erlebnissen beim russischen Heer erzählt hat.

Gerhard

Re: Konsulat in Kiew

Oliver Block @, Freitag, 15.09.2017, 18:50 (vor 2618 Tagen) @ Gerhard König

Hallo Gerhard,

Bürger, die in Wolhynien lebten und ihre Staatsbürgerschaft erneuern wollten, mußten z.B. in das Preußische und ab 1871 in das Deutsche Konsulat in Kiew reisen. Diese Reise kostete sehr viel Zeit - wahrscheinlich mehrere Tage - und auch Geld.

Die Aussagen zu den Zeiträumen weichen sehr stark voneinander ab. Bei den Beispiel in unserem VolynWiki galt die Verlängerung nur für ein Jahr.

Die fünf bzw zehn Jahre scheinen sich auf den Eintrag in die Matrikel im zuständigen Konsulat zu beziehen. (Siehe Gesetz über den Erwerb und den Verlust der Bundes- und Staatsangehörigkeit §§ 13, 21)

http://www.verfassungen.de/de/de67-18/staatsbuergerschaft70.htm

Lt Inhaltsbeschreibung des Politischen Archivs des Auswärtigen Amtes (PA AA)zu deren Bestand AB 2 - Matrikel und Passregister des Deutschen Reiches, war dieses Gesetz von ab 1870 bis 1913 gültig.

Beste Grüße

Oliver Block

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