Völkerverständigung über Kriegsgräbern

Karl-Ernst Müller @, Sonntag, 10.01.2010, 13:46 (vor 5821 Tagen)

Reise an die Schicksalsorte des 2. Weltkrieges

Den Bruder meines Vaters, Ernst, habe ich nicht kennen gelernt. Er starb am dritten Tag des sog. Russlandfeldzuges als Kraftfahrer der 2. Kompanie der Nachrichtenabteilung 43 auf dem Hauptverbandsplatz der Sanitätskompanie 2/44 in Laskow bei Vladimir-Wolynsk/Ukraine (bis 1939 polnisch, in den Kriegsberichten allg. als Russland bezeichnet, politisch korrekt wäre damals Sowjetunion gewesen) am 24.06.1941, fernab seiner Dresdner Heimat. Nachdem er beim Inf.Ers.Btl. 29 (mot.) in Züllichau/Niederschlesien (poln. Sulechow) ausgebildet wurde, verletzte man ihn bei einem Feuerüberfall in der Bunkerlinie bei Fundum (heute Darnizkoe). Seine Erkennungsmarke lautet: -64-4.I.E.Btl.29, die Feldpost - Nr. 02959, unter der sein Kompanieführer im August 1941 noch korrespondierte. Die Familie wurde durch Nachrichten seines Kompaniechefs, des Hauptfeldwebels, von Kameraden und der Wehrmachtsauskunftsstelle über die Vorkommnisse, die zum Tode führten, informiert. Durch Granatwerferbeschuss wurden eines seiner Beine und sein LKW schlimm zugerichtet. Bilder, die seine Kameraden, noch auf seine Bitte hin, mit seinem Fotoapparat machten, zeigen das zerstörte Auto und sein Grab, von dem Ort des Grabes ist die Adresse bekannt.

Erst knapp sechs Jahre später bin ich, Karl-Ernst, geboren. Seinen Namen und den des Bruders meiner Mutter, Karl, am 16.02.1943 in Poltawa/Ukraine tot aus einem Lazarettzug geborgen, trage ich seitdem. Und mit dem Namen trage ich auch deren Geschichte.
Der Gedanke, das Grab von Ernst aufzusuchen, beschäftigt mich schon lange. Die Schwierigkeiten, ein Visa und dazu eine persönliche Einladung von vor Ort zu bekommen, hinderten mich immer wieder trotz aller Bemühungen daran. Im Februar 2005 schenkten mir meine Kinder, Ernsts Großneffe Christian und Großnichte Ulrike mit ihrem Ehemann Christoph, eine gemeinsame Reise in die Ukraine. Schon mit der Beschaffung eines Visum befasst, änderten sich die politischen Verhältnisse dort und die Visafreiheit galt. So reisten wir in den Ort Laskow (heute ukrainisch Laskiw) im Gebiet Wolyn, östlich des polnischen Bug, um die Stätte des Geschehens aufzusuchen.

Wir kommen unangemeldet als Verwandte eines Handlangers des Aggressors, aber auch des geliebten Ehemannes, Sohnes und Bruders. Was uns erwartet, ist völlig unklar. Schnell erkennen wir, dass es die Adresse, Haus Nr. 115, in dessen Garten das Grab sein soll, nicht mehr gibt, u.a., weil die Straßen inzwischen Namen tragen. Deshalb kam alle meine Post dorthin immer wieder zurück, auf Anfrage in der ukrainischen Botschaft wurde mir aber die Existenz des Dorfes Laskow bestätigt. Der Krieg hat in dieser Gegend fürchterlich gewütet!

Mit Hilfe des Bürgermeisters und einer Mitarbeiterin, der ich einen vorgefertigten russischen Text mit den Fakten vorlegte, kommen wir in Kontakt mit den Bürgern des Ortes Wassili Gorun und Nikolaj Krijschanowski, einer Jahrgang 1920, der andere 1930, treten wir auf freiem Feld an die Stelle des Hauptverbandsplatzes, auf dem Ernst Müller starb und des Grabes, welches zwar nicht mehr existiert, aber dessen Lage dem damals 11-jährigen Zeitzeugen Nikolaj noch bestens bekannt ist. Im wunderschönen, gelb blühenden Rapsfeld nimmt Wassili, der gut von seiner Zeit als Zwangsarbeiter in der Nähe von Waren - Müritz und deshalb deutsch spricht, mit Tränen in den Augen die Mütze vom Kopf und sagt: "Lieber Mann, deine Kinder sind gekommen so viele Kilometer, nun kannst du im Frieden ruh`n“. Auf dem nahe gelegenen Friedhof des Ortes zeigen uns die beiden betagten, aber rüstigen Rentner weitere Stellen, wo Soldaten verschiedener Nationen beigesetzt wurden. Auf den Gedenkhügel russischer Soldaten, liebevoll gepflegt, wie viele Friedhöfe in der Ukraine, stellen wir eine brennende Kerze des Volksbundes deutsche Kriegsgräberfürsorge, zitiere ich mit versagender Stimme das Gedicht, das nach den umfangreichen Unterlagen der Familie bei einer Gedenkfeier in der Kirche zu Glaubitz/Riesa im August 1941 fernab der sächsischen Heimat vorgetragen wurde:


Wir gehen dahin, und wissen nicht wie bald...
Die Wasser werden bleiben und der Wald.
Die Erde und die Wolken und der Stein,
sie werden sein.

Wir gehen dahin, und wissen nicht wie bald...
Begonnen kaum, ist unser Lied verhallt.
Was wir getan, gedacht, geweint, gelacht,
versinkt in Nacht.

Wir gehen dahin, und wissen nicht wie bald...
Nur wer wie Wasser strömt, zu Fels sich ballt,
wie Wälder wächst, die Erde überblüht,
nie ganz verglüht.

Wir gehen dahin, und wissen nicht wie bald...
Doch was durch uns hinweg mit Urgewalt
aus Ewigem ins Ewige heimwärts treibt
das bleibt!

Der Ukrainer Wassili findet die Ehrung am Grab der Russen nicht so gut. Er akzeptiert aber, dass aller Soldatenopfer zu gedenken ist.

Wir versprechen uns Freundschaft. Geschenke gehen an die Helfer. Der Abschied ist herzlich! Wir trennen uns wie alte Bekannte. Eine emotionale Reise über 2400 km mit vielen Erlebnissen und den Zwischenstationen Krakau (Krakow) und Lemberg (Lviv) hat ihren Sinn und Höhepunkt gefunden. Der letzte Vers des Gedichtes, dass die Schwester von Ernst`s Mutter im Oktober 1942 schrieb und ihr auch widmete, hat seine Erfüllung gefunden:

Wenn meine Gedanken wandern gehen
In stiller, schlafloser Nacht
Dann hab ich oft an dein einsames Grab
Im fernen Russland gedacht.

(...)

Ich möchte gehen wer weiß wie weit,
Es zu sehen ein einziges Mal -
Doch ich kann nichts tun als nur denken daran -
Und es grüßen viel tausendmal.

Fast 64 Jahre nach den Geschehnissen im Aufmarschgebiet des sinnlosen Russlandfeldzuges meinen wir, ein Stück Völkerverständigung praktiziert zu haben und können der Familie und den noch lebenden Schwägerinnen, die Ernst kannten, berichten, was bis dahin kaum möglich war; von einer Reise in die Vergangenheit mit schlimmen Ereignissen, die die Welt so veränderten...

Zwickau im Juni 2005 (kem.) Stand 10.01.2010

PS: wir haben inzwischen Post von den beiden Männern, die uns wieder eingeladen haben und wir waren von 2006 - 2009 jährlich wieder dort. Wen das interessiert, nehme bitte mit mir Kontakt auf ((Tel. 0049 (0)375 296732)).

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Re: Völkerverständigung über Kriegsgräbern

Gerhard König ⌂, Montag, 11.01.2010, 13:55 (vor 5820 Tagen) @ Karl-Ernst Müller

Hallo Karl-Ernst,

danke für Deinen ausführlichen Beitrag.

Bei meinen bisherigen Reisen in die Ukraine unterhielt ich mich mit ähnlich hilfsbereiten Einwohnern. Die jüngeren Generationen haben heute nur noch sehr geringe Kenntnisse von der Geschichte der eigenen Ortschaften.

Mögen Deine Worte vielen Lesern zu Herzen gehen und sie bewegen, nach ihren wolhynischen Vorfahren zu forschen und in die Ukraine zu reisen.

gerhard

Re: Völkerverständigung über Kriegsgräbern

Karl-Ernst Müller @, Dienstag, 12.01.2010, 09:01 (vor 5819 Tagen) @ Gerhard König

Ja, sehr schön Gerhard König und danke für die schnelle Reaktion sagt mit Gruß KEM

Re: Völkerverständigung über Kriegsgräbern

Silko Ronczka ⌂ @, Montag, 16.01.2012, 15:57 (vor 5085 Tagen) @ Karl-Ernst Müller

Lieber Karl-Ernst, liebe Mitlesenden,

durch Zufall bin ich hier in diesem Forum aufgrund einer Google-Suche nach dem Stichwort „Hauptverbandsplatz Wladimir“ gelandet. Deine Schilderungen zu Deinen Reise-Erlebnissen berühren mich sehr.

Mich beschäftigt schon seit Jahren das Schicksal meines Großvaters Arno Rommel, den ich selbst nie persönlich gekannt habe, der mir aber aufgrund meiner Recherchen zur Ahnenforschung so nahe steht, als würde ich seine Hand auf meiner Schulter spüren. Arno ist auf dem Hauptverbandsplatz Wladimir verstorben, allerdings 3 Jahre später im Jahre 1944, als die 214. Infanteriedivision nicht mehr weit von ihrem Ende entfernt war. Entsprechende Daten habe ich von der WASt und vom Volksbund bekommen. Für ein zusammengefasstes Ergebnis möchte ich auf den entsprechenden Artikel auf meiner Homepage unter http://www.silkoronczka.de/genealogie/85-heldenfriedhof-wladimir-grab-iv.html aufmerksam machen.

Regelmäßige wiederholte Anfragen bei diesen Stellen erbrachten immer wieder ein Ergebnis. Die damalige Grablage (Heldenfriedhof Wladimir) ist durch den Volksbund noch nicht lokalisiert worden. Eine unermessliche Freude wäre es für mich, wenn ich tatsächlich einmal an dieser Stelle stehen könnte, an der Arno zu Boden sank, und ihm dort einen Gruß hinterlassen könnte. Dass dies möglich wird, wünsche ich auch meiner nunmehr 74-jährigen Mutter, die ihren Vater Arno wohl im zarten Alter vom 5 oder 6 Jahren ein letztes Mal gesehen haben muss und sich nie von ihm verabschieden konnte. Ob sie diese Chance noch bekommt?

Über eine Reise nach Wladimir habe ich auch bereits nachgedacht. Allerdings weiß ich nicht so recht, wie ich bei der Lokalisierung anfangen soll. Gab es nur diesen einen von Dir in der Nähe Laskow erwähnten Hauptverbandsplatz, oder hat es noch einen direkt in Wladimir gegeben? Wird der Hauptverbandsplatz 1944 noch derselbe wie der der 2./44 aus dem Jahre 1941 gewesen sein? Wo mag sich der erwähnte Heldenfriedhof befunden haben? Außer einem Foto vom Grab und der entsprechenden Reihe habe ich keine weiteren Angaben hierzu.

Leider ist über das Schicksal der 214. InfDiv, spez. des GrenRgt 568, dem Arno zuletzt zugeordnet war, nicht all zu viel zu recherchieren. Vielleicht kann hier jemand weiter helfen?

Lieber Karl-Ernst, mich interessiert auch ganz besonders das Gedicht Deiner Großtante aus dem Jahre 1942, welches sie ihrer Schwester gewidmet hat. Alleine diese 2 Strophen, die Du hier eingestellt hast, berühren sehr. Sie drücken viel von dem aus, was in den Herzen und Gedanken vieler Hinterbliebener sitzt. Würde es Dir etwas ausmachen, mich es komplett lesen zu lassen oder es hier einzustellen?!

Liebe Grüße
Silko (Ronczka)

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Re: Völkerverständigung über Kriegsgräbern

Irene König ⌂ @, Montag, 16.01.2012, 22:22 (vor 5084 Tagen) @ Silko Ronczka

Hallo,

bei allem Verständnis für das Anliegen bitte ich darum, die Diskussion privat oder auf einer dafür ausgelegten Internetplattform weiterzuführen. Das Thema ist nicht Gegenstand unseres Forums und ich schließe es hiermit ab.

Irene König
Forum-Admin

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